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AutorenbildSabine Terhorst

Schuld - wem hilft sie?

Schuld ist für mich ein ganz persönliches Thema. Ganz einfach deshalb, weil ich für Dinge und Geschehnisse in der Vergangenheit die Verantwortung übernommen habe und mich deshalb schuldig gefühlt habe. Es war ein Gefühl, dass sich schnell und gerne eingestellt hat - immer dann, wenn ich an etwas beteiligt war, was nicht rund lief. Oder auch einfach nur, wenn andere eine schlechte Laune hatten. "Bin ich schuld daran?" und obwohl ich eigentlich keinen blassen Schimmer hatte, was ich angestellt haben könnte, habe ich schon den Kopf eingezogen.


Schuld ist ein lähmendes Gefühl. Ein Gefühl, dass mich vollkommen einengt und reduziert auf das vermeintlich Schlimme, das ich getan habe. Sie zog mich nach unten, lies mich unzulänglich und wertlos fühlen. Wieder hatte ich etwas nicht richtig gemacht und dafür muss ich die Verantwortung übernehmen.


Interessant war allerdings, dass jede Aussage und gut gemeinte Unterstützung "aber das ist doch gar nicht Deine Schuld" bei mir keinen Anklang fand. Mein Innerstes schrie auf "wie kannst Du das wissen?" und ich blieb dabei. Die anderen hatten keine Ahnung. Wenn sie nur wüssten, dann würden sie mich verstehen. Dann würden sie mich auch für schuldig halten. Ich wollte die Schuld nicht hergeben. Und nach einer gewissen Zeit, in der ich mich damit beschäftigte, machte mich das ein wenig stutzig. Ich beobachtete, dass dieses Gefühl sich recht automatisiert einstellte. Auch wenn es gar keinen wirklichen Grund dafür gab. Und das brachte ein wenig Luft rein, denn ich fragte mich mehr und mehr, warum das so war. Warum war dieses Gefühl so "wichtig", dass ich mich nicht beschwichtigen lassen konnte?


Bei meinen Forschungen (durch viel therapeutische Arbeit, aber auch viel Meditation und Kontemplation) konnte ich eine Antwort für mich finden: "Schuld" war mein Weg, mich nicht so hilflos zu fühlen. Mich nicht ausgeliefert zu fühlen. Indem ich die Verantwortung übernahm für eine Situation, die ich gar nicht beeinflussen konnte, hatte ich aber die Idee, es eigentlich ändern zu können. Durch das Schuldgefühl stellte ich meine Handlungsfähigkeit wieder her. Das war zwar kein gutes Gefühl, aber es war immer noch besser, als vollkommen ausgeliefert und hilflos zu sein.


Generell bemerke ich heute, wie fixierend Schuld eigentlich ist. Sie hat wirklich nichts konstruktives an sich. Aber sie bestätigt mich in dem Denken, dass ICH etwas getan habe. Wenn ich mich schuldig fühle, dann kreisen meine Gedanken auch nur noch um mich. Was habe ICH getan? ICH bin es nicht wert, dass man noch mit mir spricht. ICH muss die Verantwortung dafür übernehmen. Ich zerreisse förmlich in dem Gedankenstrom, welches Unheil ich ausgelöst habe und befinde mich somit auch die ganze Zeit in der Vergangenheit. In einem Zeitfenster, das lange vorbei ist. Dass ich auch nicht mehr ändern kann - egal wie sehr ich mich verurteile und wieder und wieder darüber sinniere, dass ich mich hätte anders verhalten müssen: es ändert rein gar nichts.


Das einzige, was wirklich passiert ist, dass ich all meine Energie an eine Erinnerung verschwende und die Situation im hier und jetzt verpasse. Ich bekomme nicht mehr mit, welche Handlungsmöglichkeiten ich im Hier und Jetzt habe. Wende meine Blick ab, von dem was JETZT gebraucht würde und hänge in alten Gefühlen fest, vielleicht sogar mit ein Idee wie "es darf mir nicht gut gehen" oder "nie wieder darf ich glücklich sein".


Ein Beispiel:

Eine Frau betrügt ihren Mann, nachdem sie mehrere Jahre glücklich verheiratet waren. Er kann es ihr nicht verzeihen und er verlässt sie. Dadurch wird ihr die Konsequenz ihres Handelns erst bewusst und sie fühlt sich schuldig, sein Leben zertsört zu haben. Nach einiger Zeit findet er eine neue Frau, heiratet und bekommt Kinder, aber sie kann sich auf keinen neuen Mann mehr einlassen. Sie hängt in dem Gedanken fest, dass sie das nicht verdient hat, denn schließlich hat sie ihre Ehe und damit auch sein Leben zerstört. Sie bekommt gar nicht richtig mit, dass er bereits wieder glücklich ist. Sie schämt sich, mit einem neuen Partner - den sie gar nicht richtig an sich ran lassen will - in der Öffentlichkeit zu zeigen, da sie glaubt, alle würden sie dafür verurteilen. Aber am meisten verurteilte sie sich selbst dafür.


Ein anderes Beispiel:

Eine Frau ist psychisch krank und bekommt während ihrer Schwangerschaft eine Psychose. Nach der Geburt steckt sie in einer tiefen Depression und ist nicht in der Lage, ihr Kind emotional zu versorgen. Heute, wenn ihr Sohn Schwierigkeiten bekommt, denkt sie oft, dass sie damals hätte sich mehr zusammen reißen müssen. Sie ertrinkt in dem Schuldgefühl, eine schlechte Mutter gewesen zu sein. Sie erzählte dies ihrem Hausarzt und er meinte recht trocken, dass er das zwar verstehe, es ihrem Sohn aber nicht helfe. Er brauche sie jetzt und es würde ihm nicht nützen, wenn sie sich weiter Vorwürfe mache. Das hat ihr tatsächlich geholfen, den Blick wieder mehr auf ihren Sohn zu richten und ihn zu unterstüten.


Schuld gaukelt uns gerne vor, dass wir alles in der Hand hätten. Sie lässt uns fast schon ein bisschen Gottgleich werden, da wir davon ausgehen, dass wir in dem Moment, in dem etwas passiert ist, alle Fäden in der Hand gehabt hätten. Sie ist ganz schön trügerisch, wenn man sich mal auf einer anderen Ebene damit befasst. Aber sie gibt uns eben auch Macht. Macht in der Vergangenheit und leider nicht im gegenwärtigen Moment.


Wem hilft es also, wenn ich mich schuldig fühle? Eigentlich nur mir selbst. Meinem inneren System, das sich unter keinen Umständen hilflos und ausgeliefert fühlen möchte. Schuld gibt mir eine Identität. Aber es leider keine, die mir nützt, sondern mich von innen heraus auffressen und zerstören kann.


Dem anderen - sofern ich ihm wirklich geschadet habe - würde es eher helfen, wenn ich es bereue. Im bereuen liegt das Anerkennen eines Anteils, den ich vielleicht an der Situation hatte. Aber das bereuen ist nach vorne gerichtet. Ich schaue, was ich jetzt ändern kann oder machen kann (z.B. mich entschuldigen, den anderen unterstützen, es künftig anders machen wollen und so weiter). Das bereuen setzt wieder Energie frei und erkennt auch an, dass die Situation vorbei ist. Am Damals kann ich nichts mehr ändern. Aber ich kann mich jetzt neu und besser entscheiden, weil ich jetzt mehr weiß, als ich damals wusste.


Auf meinem Weg hat mir auch ein weiterer Punkt sehr geholfen: das Erkennen, dass jede Situation aus vielen verschiedenen Bedinungen heraus zusammen gesetzt ist. Dass ich diese Zeilen hier schreiben kann, setzt voraus, dass viele Lehrer sich mit mir abgemüht haben, um mir lesen und schreiben beizubringen. Dass es Meinungsfreiheit gibt, dass es ein Internet gibt um Blog-Beiträge zu schreiben. Meine vielen tollen Lehrer und therapeutischen Begleiter, die mit mir an meiner Schuld gearbeitet und auch das Thema selbst unterrichtet haben. Die Menschen, mit denen ich arbeiten durfte, und von denen ich ebenfalls lerne und die Blickwinkel kennenlerne. Nicht ICH bin es, die das schreibt. Sondern die Tatsache, dass ganz viele Bedingungen in diesem Moment zusammengekommen sind und jetzt dazu führen, dass ich mir die Zeit dazu nehme und auch nehmen kann. Natürlich ist da auch die Sabine, die mitwirkt. Meine Intension. Meine Entscheidung. Aber ist eine Illusion, wenn ich glaube, dass ich alleine an dem Blog-Beitrag geschrieben habe.


Wenn ich mir das immer wieder bewusst mache (z.B. durch Meditation und Achtsamkeit), kann ich mich mehr und mehr mit der Idee entspannen, dass ich allein alles in der Hand gehabt haben soll. So war es nicht, so ist es nicht und wird es auch nie sein. Ich kann immer nur von Moment zu Moment meine Intensionen prüfen, mich auf den Weg begeben und das Beste versuchen. Mehr steht nicht in meiner Macht.


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